Lesen als Abenteuer im Kopf

Wie die Bibliotherapie durch das Lesen neue Welten eröffnet

 

Besonders der Sommer bietet sich an, Neues kennen zu lernen, bei Reisen in mehr oder weniger exotische Länder, beim Entdecken unbekannter Landschaften, dem Eintauchen in fremde Kulturen und dem Bestaunen grandioser Bauwerke und Kunstschätze. Dadurch wird nicht nur der Horizont erweitert, sondern es kann auch Inspiration sein, manches Neue zu wagen. Umso mehr gilt dies, wenn man sich die Zeit nimmt, länger an einem Ort zu verweilen und Teil des Neuen zu werden.

Besonders Romane können dazu anregen, sich aus der Komfortzone zu bewegen und etwas „zu riskieren“, wobei das Risiko auch überschaubar sein darf, geht es doch weniger um die Gefahr, sondern um das Erleben von etwas Besonderem. Dies gelingt zwar auch zu Hause und bei Ausflügen in der näheren Umgebung, in der Fremde ist die Erfahrung aber meist deutlich intensiver.

In „Der Weltensammler“ von Ilja Trojanow entsteht das wahre Abenteuer erst durch das Einswerden mit dem zunächst Unbekannten. Der Leser wird auf den ersten Seiten zunächst fast erschlagen von der Fülle des Indischen Subkontinents. Um ihn herum, in diesen Wirbeln, er konnte kein Gesicht erkennen, und es dauerte eine Weile, bis er ein Bild sah, das Sinn ergab. Doch genau das ist es, was der wahre Reisende sucht, nicht das Vertraute der Heimat, sondern etwas ganz anderes.

Ich möchte hier einige Romane kurz vorstellen, die dazu verhelfen können, neue Welten kennen zu lernen (zumindest im Kopf) und die vielleicht dazu anregen, es den Romanhelden nach zu machen.

Der Weltensammler
Ilja Trojanov

Richard Burton, britischer Offizier im 19. Jahrhundert, der im Auftrag ihrer Majestät der Königin nach Indien auszieht, um in den Kolonien für Recht und Ordnung zu sorgen, entdeckt zunächst in Indien, dann in Arabien und schließlich Afrika, dass ihn nicht so sehr die Fortführung der englischen Lebensweise in fremden Landen reizt, sondern das Eintauchen in andere Kulturen und Gebräuche. Er macht sich das Fremde nicht zum Untertan, sondern vertieft sich so sehr in das Unbekannte, dass er zu einem Teil davon wird. Ilja Trojanow versteht es, aus den Eckdaten der Biografie von Richard Burton eine fiktive Reise zu gestalten, die dem Leser ein opulentes Mahl der Sinne bietet. Und wenn man meint, die Intensität der Erlebnisse sei nicht zu überbieten, kommt es zu einer weiteren Steigerung, die in der Suche nach dem Ursprung des Nils mündet. Ein wahres Abenteuer!

 

Die Vermessung der Welt
Daniel Kehlmann

Alexander von Humboldt und Karl Friedrich Gauß könnten in ihrem Forscherdrang nicht unterschiedlicher sein. Der eine, der alle erdenkbaren körperlichen Qualen durchsteht, um die Welt und die Natur zu erkunden. Der andere, der die Welt im Kopf vermisst und dem bereits eine Kutschenfahrt in die Nachbarstadt den Schweiß auf die Stirn treibt. Daniel Kehlmann versteht es, das Leben dieser herausragenden Wissenschaftler nicht nur zu skizzieren, sondern ihnen Leben einzuhauchen, dass man meint, man wäre bei den Abenteuern mit dabei. Die Höhen und Tiefen werden genauso pointiert beschrieben wie die skurrilen Charakterzüge, die es den Mitmenschen nicht immer leicht machen. Der Roman gipfelt im Treffen der beiden Genies, was zu weiteren Verstrickungen führt.

Der Kaiser von China
Tilman Rammstedt

Ein Buch über die Geschichte eines jungen Mannes mit seinem Großvater. Eine Geschichte, die innig und gleichzeitig kompliziert ist, aber jedenfalls nicht langweilig. Zum 80. Geburtstag des Großvaters wünscht sich dieser nichts sehnlicher als eine Reise nach China, bei der ihn Keith begleiten soll. Dieser willigt zunächst ein, wird durch die Geschwister mitfinanziert, erkennt jedoch rasch, dass er sich darauf gar nicht einlassen möchte. Durch Ausreden und Verzögerungen kommt es so weit, dass der Großvater zuvor stirbt. Jetzt ist es an ihm, den Geschwistern glaubhaft zu machen, sie wären tatsächlich auf der Reise durch China. Und es scheint auch so zu sein, dass die Briefe, die er aus China nach Hause sendet, ein Vermächtnis an den Großvater sind.

Aus: Norman Schmid (2016).“Auf der Couch mit Doktor Buch.“ Maudrich-Verlag.

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